Direkt zum Hauptbereich

Der Lawinenwinter 1999 im Rückblick

 

Staublawinenabgang in Hochfügen am 24.02.1999 (Quelle: Mair, 2008)

Dieser Tage jähren sich die Lawinenunglücke von Galtür, Vandans und Evolène zum 25. Mal. Was ist damals aus meteorologischer Sicht passiert? Ein Rückblick.

Es gibt solche Ereignisse im Leben, an die sich jede und jeder so ganz für sich erinnert. Der Lawinenwinter 1999 war ein solches.

Ich persönlich kann mich daran erinnern, dass wir im Englisch-Unterricht BBC-Nachrichten geschaut haben. Das war schon mal ganz seltsam, dass im Ausland viel über Österreich berichtet wurde. Das passiert ja nur wenn was Schlimmes passiert. Oder Neujahrskonzert und Sportereignis.

Damals waren (u.a.) die US Black Hawks im Einsatz und haben hunderte Touristen aus den tief verschneiten Tälern geholt. Es gab Schnee, sehr viel Schnee und das Thema Lawinen war für mich und uns als Teenager und Snowboarder sehr plötzlich in den Fokus gerückt.

Was ist passiert?

Die meisten wissen es sofort. Der Lawinenwinter 1999 hat mehrere Dutzend Todesopfer gefordert. Opfer aus halb Europa, da sich zu der Zeit im Februar auch viele Touristen in Frankreich, der Schweiz und Österreich befunden haben.

Mitte Jänner 1999 hat es mit dem ersten Schub Schneefall begonnen. Da war eigentlich alles noch okay, durch die kalten Nächte hat sich die Schneedecke gesetzt und stabilisiert.

 

Exemplarisch der Stationsverlauf Niederschlag in Langen/Arlberg im gesamten Winter 1998/99 im Vergleich zum Mittel 1991-2020 (kann man leider nicht umstellen). Quelle: GSA

 

Mitte Februar kam der aus Nordwesten der nächste Schwung Schnee. Besonders viel hat es erneut in den Französischen Alpen, in der Schweiz und in Westösterreich geschneit.

 

Zwei Klimagrafiken zum Niederschlag (nicht Schnee!) von der GSA. Links die Monatssummen für den Februar 1999 und rechts die Abweichung des Niederschlags vom Klimamittel 1991-2020. Im Paznaun und im Oberen Gericht war es 5-mal so viel Niederschlag als im Mittel (Quelle: GSA).


Da war die Lage teilweise schon prekär. Durch den starken Wind gab es massive Verfrachtungen des Schnees. Seit Ende Jänner herrschte in den Nord- und Zentralalpen fast durchgehend Lawinenwarnstufe 4 bis 5. 

Gefahrenstufen in Boden/Lechtal im Winter 1998/99 (Quelle: LWD)

 

Soviel ist gefallen - eine Einordnung

Damit man eine Einschätzung der Größenordnung bekommt. In Galtür gibt es seit 1895 eine Klimastation. Dort wurden vom 26. Jänner bis 25. Februar 490 Zentimeter Neuschnee gemessen. Allein die 375 cm im Februar entsprechen dem 6-fachen (!) der durchschnittlichen Neuschneemenge in einem Februar. Ende Februar lagen im Dorf auf 1600 m Seehöhe über 2 Meter Schnee.

Stationsverlauf Neuschnee in Galtür. Während des letzten Schneefallereignisses fielen täglich zwischen 10 und 40 cm Schnee - in Summe 245 cm Neuschnee in 10 Tagen. Das entspricht einer groben Jährlichkeit von über 300 Jahren (Quelle: Gabl, K.)

Und andernorts sah es ähnlich aus. Zwischen dem Bregenzerwald, dem Außerfern und dem Ötztal fiel verbreitet die 3- bis 5-fache Menge Neuschnee.

In Innsbruck gab es 114 cm Neuschnee im Februar 1999, das ist mehr, als in einem durchschnittlichen Winter zusammenkommt. Die Maximale Schneehöhe war damals 66 cm am Flughafen. Das ist die größte Schneehöhe in der Tiroler Landeshauptstadt in den letzten 25 Jahren.

Auf den Bergen - so liest man - waren die Schnemengen noch viel viel größer. Der Schneefall wurde meist von starkem bis stürmischem Nordwestwind begleitet, es waren Unmengen an Triebschnee im Gebirge. Der Lawinenexperte Rudi Mair sprach von Schneehöhen um 10 (!) Meter im Raum Galtür (Grieskopf, Grieskogel, Adamsberg).

Exemplarisch für viele Berge sei hier die Nordkette erwähnt, weitere Stationen finden sich im Jahresbericht des LWD Tirol (siehe Literatur). Bis Ende Jänner ist kaum was passiert, es fiel eigentlich gar nicht so viel Schnee. Es kam zu wenigen Lawinenabgängen und meist herrschte eine geringe Warnstufe zwischen 1 und 3. Danach kamen die Schneemassen und auf der Nordkette wurden über 4 m Schnee gemessen.

Stationsverlauf Nordkette vom Winter 1998/99: Schneehöhe, Neuschnee, Temperatur, Wind, Lawinenabgänge und Gefahrenstufe. Quelle: LWD

Das Unglück

Bereits seit Ende war die Bundesstraße B188 ins Paznaun aufgrund von großer Lawinengefahr immer wieder gesperrt, ab dem 9. Februar gab es Versorgungsflüge durch das Bundesheer. Nur am 13. und am 20. Februar wurde sie kurzzeitig am Samstag geöffnet, um den Urlauberschichtwechsel zu ermöglichen. Das, muss ich ehrlich sagen, habe ich bis heute nicht verstanden.Viele Urlauber ließen sich damals auch gegen Gebühr ausfliegen.
 
Ischgl und Galtür im Tiroler Paznauntal. Norden ist unten, die Lawinen kamen von "rechts" (Nordwesten). Quelle: TT/APA

 
Am Dienstag, 23.02.1999 kam es am Nachmittag um 16:00 in Galtür zu dem großen Unglück. Eine riesige Staublawine stieß bis in die Dorfmitte vor. Sie war fast 400 m breit, 100 m hoch und bis zu 300 km/h schnell. Berechnungen zu Folge waren damals 120.000 Tonnen Schnee in Bewegung. Die Bilder und Berichte kennen sie meisten. Leider starben damals 38 Menschen in Galtür und weitere in Valzur, Evolène (CH) und Chamonix/Montroc (FR).
 

Die Kritik

Kritik an der Vorgehensweise gab es damals u.a. von Franz Fliri, einem Tiroler Klimatologen und (damals schon emeritierten) Professor für Geographie an der Universität Innsbruck. Sein Einwand, dass es "in Galtür in einem Zeitraum von 500 Jahren zu 13 Lawinenabgängen mit insgesamt 57 Toten gekommen sei, wurde von der Gemeinde Galtür nicht akzeptiert.", da alle Lawinen vom inzwischen gesicherten Osthang gekommen sind.